DVD Review by Lynn René Bayley
BACH Chaconne, BWV 1004. Solo Violin Sonata No. 3 in C, BWV 1005: Adagio and Fugue. PAGANINI Caprices: Nos. 4, 5, 9, 11, 13–17, 19, 20, 24 • Vidor Nagy (va) • HERA 02202 (2 DVDs: 108: 09)
Ciaconna: Paganini in Chiesa
DVD
Edition Hera
These emotional, impassioned, sometimes rough-hewn performances of Bach and Paganini transcribed for viola are not for everyone’s taste, most especially if you insist on historically informed performances, but for me that’s what makes them great. Vidor Nagy (b. 1942), a Hungarian violist who is first chair of the Württemberg State Orchestra of the Stuttgart Opera, spent a lifetime studying and practicing these works before he took the step of having them videotaped in 2007 and 2009, and has now released them on a double-DVD set. He holds his instrument under his chin and not against his shoulder. He plays with vibrato, and not straight tone. His playing is emotionally powerful, not tight and controlled. I’m not entirely sure why Hear couldn’t have put the entire program on one DVD, as it is under two hours, but other than that these are performances that will move you, and that is the primary function of all great music.
Nagy not only wears his emotion on his sleeve, or in his bowing, but also in his facial expressions. Though he stands throughout the performances, he doesn’t stand still, but is constantly in motion, his face and body language mirroring the deep feeling he puts into every note. In Phantasma II of the Chaconne, he creates a continuous sound, the whirring 16th notes of the music blending the melody line and accompaniment as to create an almost organ-like effect. There is so much raw emotion in these performances that at times it reaches an intensity that is usually only felt in Indian ragas played by masters like Ali Akhbar Khan. Thus does West meet East, German Baroque classicism meets Hungarian emotionality.
Because of his powerful emotional connection to the music, Nagy is the antithesis of more controlled Western violists like Hindemith or Primrose. One wonders where he gets such deep, continuous reserves of energy; the average violist would be completely drained after even one Phantasma of the Chaconne. In the third of these, Nagy’s playing virtually erupts in a torrent of rich tone, the sound of each string almost overlapping the others. Even the adagios, such as the one preceding the fugue of the sonata, are restless and emotive. There are no calm seas for this prosperous voyager as he pours his heart out in every note he plays, yet for all the emotionality of his interpretation, Nagy is not the least bit sentimental.
Bach’s pieces, being “absolute” music applicable to almost any instrument, work well on the viola, but I am less convinced by Nagy’s transcription of 12 of Paganini’s 24 Caprices to his instrument. For one thing, its darker, more port-wine-color seems at odds with the essential Italianate sunniness of the music. For another, the difficult leaps and reaches into the upper register are much harder to accomplish on viola, and it shows up here in an occasional tendency to go flat. This is not a condemnation of Nagy, however, as I’m not sure that even such a technical wizard as Primrose could control the instrument much better in these transcriptions. Technical blemishes aside, Nagy’s playing is as fervent as his Bach, and his attention to structure ensures a familial resemblance between the two composers.
Lynn René Bayley
This article originally appeared in Issue 34:4 (Mar/Apr 2011) of Fanfare Magazine.
Bach – Chaconne, Paganini in Chiesa
Diese emotionalen, leidenschaftlichen, manchmal auch etwas rau modellierten Aufführungen von Bach- und Paganini-Transkriptionen für Viola sind sicher nicht jedermanns Geschmack, ganz besonders nicht , wenn man unbedingt historisch informierte Aufführungspraxis erwartet, aber für mich macht gerade dies ihre Größe aus. Vidor Nagy, Jahrgang 1942, ungarischer Bratischist und erster Bratschist des Württembergischen Staatsopernorchesters, hat sein ganzes Leben schon damit verbracht, diese Werke zu studieren und zu üben, bevor er den Schritt unternahm, sie 2007 und 2009 auf Video aufnehmen zu lassen, und hat sie nun auf einer Doppel-DVD veröffentlicht. Er hält sein Instrument unter dem Kinn und nicht an der Schulter. Er spielt mit Vibrato, nicht mit geradem Ton. Sein Spiel hat große emotionale Kraft, es ist nicht verkrampft und gezwungen. Ich kann es mir nicht recht erklären, wieso Hera nicht das gesamte Programm auf einer DVD herausgebracht hat, denn es dauert keine zwei Stunden, außer dass es zu Herzen gehende Aufnahmen sind, und das ist die Hauptsache bei aller großen Musik.
Nagy sind seine Gefühle deutlich anzusehen, nicht nur in seiner Bogentechnik, sondern auch in seinem Gesichtsausdruck. Obwohl er bei den Aufnahmen immer steht, steht er nicht still, sondern ist stets in Bewegung, wobei sein Gesicht und seine Körpersprache das tiefe Gefühl widerspiegeln, das er in jede einzelne Note legt. In Phantasma II der Chaconne schafft er einen kontinuierlichen Klang, wobei die surrenden Sechzehntel mit der Melodielinie und der Begleitung verschmelzen und damit fast einen orgelähnlichen Klang erzeugen. In diesen Aufnahmen steckt so viel ursprüngliches Gefühl, das zeitweise eine Intensität erreicht, die man höchstens in indischen Ragas findet, wenn sie von großen Meistern wie Ali Akhbar Khan gespielt werden. So treffen sich wirklich Ost und West, deutscher Barock-Klassizismus trifft auf ungarische Emotionalität.
Wegen seiner starken gefühlsmäßigen Verbindung zu dieser Musik ist Nagy das genaue Gegenstück zu rationaleren westlichen Bratschisten wie Hindemith oder Primrose. Man fragt sich, wo er diese konstant tiefen Energiereserven hernimmt; der durchschnittliche Bratschist wäre schon nach nur einem Phantasma der Chaconne vollständig ausgelaugt. Im dritten davon ergießt sich Nagys Spiel buchstäblich in einen reißenden Fluss mit vollem Ton, wobei der Ton einer Saite den der anderen fast zu überlagern scheint. Auch die langsamen Abschnitte, wie das Adagio, das der Fuge vorangeht, sind unruhig und voll von Gefühl. Für diesen begnadeten Seefahrer gibt es keine ruhigen Gewässer, denn er spielt jede Note mit vollem Herzen, doch trotz aller gefühlsmäßigen Intensität seiner Interpretation ist Nagy kein bisschen sentimental..
Die Werke Bachs als „absolute“ Musik können auf beinahe jedem Instrument ausgeführt werden und kommen auch auf der Viola sehr gut zur Geltung. Von Nagys Transkription von 12 der 24 Paganini-Transkriptionen für sein Instrument bin ich allerdings weniger überzeugt. Zum einen scheint der dunklere, portweinähnliche Ton der Bratsche im Gegensatz zur grundsätzlich sonnigen italienischen Musik zu stehen. Zum anderen sind die schwierigen Sprünge und Griffe ins obere Register auf der Bratsche viel schwieriger zu spielen, was sich hier daran zeigt, dass die Intonation ab und zu zu tief wird. Dies soll jedoch Nagys Leistung in keiner Weise schmälern, denn ich bin mir nicht sicher, ob sogar ein technischer Zauberer wie Primrose das Instrument in diesen Bearbeitungen besser handhaben könnte. Nagy spielt diesen Paganini genauso glühend wie Bach, und weil er die Struktur des Werkes genau beachtet, stellt er eine Art Familienähnlichkeit zwischen beiden Komponisten her.
Lynn René Bayley